Pfarrer Mörike

Der Spuk im Pfarrhaus von Cleversulzbach (Auszug)
Der Spuk im Pfarrhaus von Cleversulzbach
»Sie haben, verehrtester Freund, sowohl in der Seherin von Prevorst (…), als auch neuerdings in einem Hefte Ihres Magikon von dem Spucke des hiesigen Pfarrhauses gesprochen (…). Ich will nun, Ihrem Verlangen gemäß, zunächst aus meinem Tagebuche, so weit es überhaupt fortgeführt ist, dasjenige, was ich in dieser Beziehung etwa Bemerkenswerthes aufgezeichnet finde, zu beliebigem Gebrauche hiermit für Sie ausziehen.«
Vom 19 – 30. August 1834. (…) Zweierlei vorzüglich ist’s, was mir auffällt. Ein Fallen und Rollen, wie von einer kleinen Kugel unter meiner Bettstatt hervor, das ich bei hellem Wachen und völliger Gemüthsruhe mehrmals vernahm, und wovon ich bei Tage trotz allem Nachsuchen keine natürliche Ursache finden konnte. Sodann, daß ich einmal mitten in einem harmlosen, unbedeutenden Traum plötzlich mit einem sonderbaren Schrecken erweckt wurde, wobei mein Blick zugleich auf einen hellen, länglichten Schein unweit der Kammerthüre fiel, welcher nach einigen Sekunden verschwand. Weder der Mond, noch ein anderes Licht kann mich getäuscht haben.
Auch muß ich bemerken, daß ich (…) während eines ganz gleichgültigen Traums durch die grauenhafte Empfindung geweckt wurde, als legte sich ein fremder, harter Körper in meine Hüfte auf die bloße Haut. Ich machte damals nichts weiter daraus und war geneigt, es etwa einem Krampfe zuzuschreiben, woran ich freilich sonst nicht litt. Indeß hat mir ein hiesiger Bürger, der ehrliche Balthaser Hermann, etwas ganz Ähnliches erzählt, das ihm vor Jahren im Haus wiederfuhr. Herr Pfarrer Hochstetter ließ nehmlich, so oft er mit seiner Familie auf mehrere Tage verreiste, diesen Mann, der eben so unerschrocken als rechtschaffen ist, des Nachts im Hause liegen, damit es etwa gegen Einbruch u. s. w. geschützt seyn möge, und zwar quartirte er den Mann in jenes Zimmer auf der Gartenseite, worin nachher mein Bruder so vielfach beunruhigt wurde. Einst nun, da Herrmann ganz allein im wohlverschlossenen Hause lag (die Magd schlief bei Bekannten im Dorfe) und sich nur eben zu Bett gelegt hatte, fühlte er, vollkommen wach wie er noch war, mit Einem Male eine gewaltsame Berührung an der linken Seite auf der bloßen Haut, als wäre ihm ein fremder Gegenstand, »so rauh wie Baumrinde«, rasch unter das Hemde gefahren, wie um ihn um den Leib zu packen. Die Empfindung war schmerzhaft, er fuhr auf und spürte nichts mehr. Die Sache wiederholte sich nach wenigen Minuten, er stand auf und ging, ich weiß nicht mehr in welcher Absicht, auf kurze Zeit nach Haus, kam wieder und blieb ungestört für diese Nacht.
(…)
Vom 2 – 6. September. Die Geister-Indicien dauern fort, und zwar jetzt in verstärktem Grade. Am 2. dieses Monats nach dem Abendessen zwischen 9 und 10 Uhr, als eben die Mutter durch den Hausöhrn ging, vernahm sie ein dumpfes, starkes Klopfen an der hintern Hausthür, die auf ebenem Boden in den Garten hinausführt. Ihr erster Gedanke war, es verlange noch Jemand herein; nur war das Klopfen von einem durchdringenden Seufzer gefolgt, der sogleich eine schauderhafte Idee erweckte. Man riegelte unverzüglich auf und sah im Garten nach, ohne irgend eine menschliche Spur zu entdecken. Auch Karl (mein älterer Bruder) dessen Zimmer zunächst an jener Thür ist, so wie Clärchen (meine Schwester) und die Magd hatten das Klopfen gehört. Meine Mutter, von jeher etwas ungläubig in derlei Dingen und bisher immer bemüht, sie uns auszureden, bekennt sich zum ersten Male offen zu der Überzeugung, daß es nicht geheuer um uns her zugehe.
Am 4. September, vor 10 Uhr Abends, da wir schon alle uns niedergelegt hatten, kam Karl in meine Schlafstube hereingestürzt und sagte: er sey durch einen fürchterlichen Knall, ähnlich dem eines Pistolenschusses, der innerhalb seines Zimmers geschehen, erweckt worden. Wir untersuchten augenblicklich Alles, doch ohne den mindesten Erfolg. Karl behauptet, ohne alle besorgliche Gedanken sich zu Bette begeben zu haben und will auf keine Weise meine natürlichen Erklärungsgründe gelten lassen, die ich von der eigenthümlichen Reizbarkeit des Organismus beim Übergang vom Wachen zum Schlafe hernahm, so wie daher, daß wir übrigen, Wachenden nichts hörten, ungeachtet Karls Stube nur wenige Schritte von uns liegt.
Anderer kleiner Störungen, die mir gleichwohl ebenso unerklärbar sind, gedenke ich hier nur mit Wenigem. So hörte ich in den verflossenen Nächten oft eine ganz unnachahmliche Berührung meiner Fensterscheiben bei geschlossenen Laden, ein sanftes, doch mächtiges Andrängen an die Laden von außen, mit einem gewissen Sausen in der Luft verbunden, während die übrige, äußere Luft vollkommen regungslos war; ferner schon mehrmals dumpfe Schütterungen auf dem obern Boden, als ginge dort Jemand, oder als würde ein schwerer Kasten gerückt.
Am 6. September. Abends gegen 9 Uhr begegnete Karln Folgendes. Er war, um zu Bette zu gehen, kaum in sein Schlafzimmer getreten, hatte sein Licht auf den Tisch gesetzt und stand ruhig, da sah er einen runden Schatten von der Größe eines Tellers die weiße Wand entlang auf dem Boden, gleichsam kugelnd, ungefähr vier bis fünf Schritte lang hinschweben und in der Ecke verschwinden. Der Schatten konnte, wie ich mir umständlich darthun ließ, schlechterdings nicht durch die Bewegung eines Lichts und dergleichen entstanden seyn. Auch von außen konnte kein fremder Lichtschein kommen, und selbst diese Möglichkeit vorausgesetzt, so hätte dadurch jene Wirkung nicht hervorgebracht werden können.
(…)
Dienstag, den 16. September, abends 10 Uhr, ich war kaum eingeschlafen, weckte mich Clärchen mit der Nachricht, daß, während sie noch eben am Bette der Mutter gesessen und ihr vorgelesen, sie beide durch einen dumpfen, starken Schlag auf dem oberen Boden schreckhaft unterbrochen worden seyen. In derselben Nacht erfuhr Karl Folgendes, was ich mit seinen eigenen Worten hersetze. Er schrieb das Ereigniß auf meine Bitte mit größter Genauigkeit auf.
»Mein Schlafzimmer hat zwei Fenster und jedes Fenster zwei Laden von dickem Holze, ohne andere Öffnungen (…). V on diesen Laden waren in der Nacht von gestern auf heute drei verschlossen; nur einer, derjenige, welcher meinem Bette am nächsten ist, war offen. Durch dieses halbe Fenster und dessen halbdurchsichtigen V orhang schien der Vollmond hell in das Zimmer und bildete an der Wand rechts neben meinem Bette wie natürlich, ein erleuchtetes, länglichtes Viereck. Es war etwa um halb 4 Uhr Morgens, als ich aufwachte. Nun bemerkte ich außer jenem Viereck auf einer andern Seite und mir ungefähr gegenüber, ganz oben, wo die Wand und die Decke zusammenstoßen einen hellen runden Schein, im Durchmesser von ungefähr ¼ Fuß. Es schien ein Licht zu seyn wie Mondlicht; ich hielt es auch anfangs dafür, wiewohl es mir etwas sonderbar däuchte, so hoch oben und so isolirt einen Schein zu sehen. Ich schaute nun zu dem offenen Laden hinaus und überzeugte mich, daß dieser Schimmer weder vom Monde, noch von einem Kerzenlicht in der Nachbarschaft herrühre. Dann legte ich mich wieder und dachte über diese außerordentliche Erscheinung nach. Aber während ich starr meinen Blick darauf heftete verschwand sie ziemlich schnell vor meinen Augen. Dieß fiel mir noch mehr auf und ich machte mir noch immer Gedanken darüber, als die Stille, die tiefe Stille, die sonst herrschte, unterbrochen wurde und ich ein leises Geräusch hörte, als wenn sich Jemand auf Socken von der östlichen Seite des Ganges her der Thüre meines Schlafzimmers näherte, und gleich darauf entstand außen an der Thüre ein starkes Gepolter, als stieße ein schwerer Körper heftig gegen dieselbe, sie wurde zugleich mit Gewalt einwärts gedrückt. Es war kein einfacher Schall, denn es schien, als wenn verschiedene Theile dieses Körpers schnell aufeinander an die Thüre anprallten. Ich erschrack tief in die Seele hinein und wußte Anfangs nicht, ob ich Lärm machen, läuten oder fliehen sollte. Letzteres wollte ich sogleich nicht, weil ich im ersten Schrecken fürchtete, auf die unbekannte Ursache jenes Gepolters zu stoßen, ich entschloß mich nun, ein Licht zu machen. Bevor ich aber dieses that, geschah noch Folgendes. Bald nachdem das Getöse schwieg und wieder die vorige Stille herrschte, erschien der nämliche runde Schein an der nämlichen Stelle wieder, blieb einige Zeit und verschwand dann vor meinen Augen.
Während dieser Zeit blieb der Laden, der V orhang und der natürliche Mondschein rechts an der Wand unverändert.
Mit dem angezündeten Licht ging ich sofort in den Hausgang, als ich aber in diesem nichts Besonderes entdeckte und noch überdieß den Hund in den vorderen Zimmern eingesperrt und ruhig fand, überzeugte ich mich, daß hier ein Spuckgeist sein Wesen trieb.
(…)«
So weit die Angabe meines Bruders. Noch ist aber von dieser unruhigen Nacht das Auffallendste zu bemerken übrig. Meine Mutter erzählte, sie habe zwischen 10 und 11 Uhr ganz ruhig, wachend im Bette gelegen, als sie an ihrem Kissen auf einmal eine besondere Bewegung verspürt. Das Kissen sey wie von einer untergeschobenen Hand ganz sachte gelüpft worden. Sie selbst habe mit dem Rücken etwas mehr seitwärts gelegen, sonst hätte sie es wohl mit aufgehoben. Dabei sey es ihr selbst verwunderlich, daß sie weder vor, noch während, noch auch nach diesem Begebniß die mindeste Furcht empfunden.
Vom 9 – 15. Oktober, (in welcher Zeit ich den Besuch meines Freundes M. hatte). Seit Kurzem regt ich das unheimliche Wesen auf’s Neue, und zwar stark genug. Eine auffallende Erscheinung wurde auch dem Freunde zu Theil. Nicht lange nach Mitternacht, d. h. immerhin mehrere Stunden bevor an ein Grauen des Tages oder an eine Morgenröthe zu denken war, sah er in dem Fenster, das seinem Bette gegenüber steht, eine purpurrothe Helle sich verbreiten, welche allmählig wieder verschwand, kurz nachher auf’s neue entstand und so lange anhielt, daß M. sich vollkommen versichern konnte, es liege hier keine Augentäuschung zu Grunde.
Die Geltung dieses Phänomens bestätigte sich in einer der folgenden Nächte durch meine Mutter, die denselben Schein in ihrem Schlafzimmer an der ihrem Bette gegenüber stehenden Wand erblickte. Sogar Clärchen, von der Mutter darauf aufmerksam gemacht, sah ihn noch im Verschwinden.
(…)
25. Oktober. In einer der letzten Nächte sah Karl gerade über dem Fuße seines Bettes eine feurige Erscheinung, eben als beschriebe eine unsichtbare Hand mit weißglühender Kohle oder mit glühender Fingerspitze einen Zickzack mit langen Horizontalstrichen in der Luft. Der Schein sey ziemlich matt gewesen. Hierauf habe sich ein eigenthümliches Schnarren vernehmen lassen.
(…)
13. November. In der Nacht, etwa zwischen 1 und 2 Uhr erwachte meine Schwester, wie sie sagt, ganz wohlgemuth, und setzte sich, um eine Traube zu essen, aufrecht im Bette. V or ihr, auf der Bettdecke, saß ihr kleines, weißes Kätzchen und schnurrte behaglich. Es war durchs Mondlicht hell genug im Zimmer, um Alles genau zu erkennen. Clärchen war noch mit ihrer Traube beschäftigt, als sie, mit völligem Gleichmuth, ein vierfüßiges Thier von der Gestalt eines Hundes durch die offne Thür des Nebenzimmers herein und hart an ihrem Bette vorüber kommen sah, wobei sie jeden Fußtritt hörte. Sie denkt nicht anders als: es ist Joli, und sieht ihm nach, ob er wohl wieder, seiner Gewohnheit nach, sich unter das gegenüberstehende Bett meiner Mutter legen werde. Sie sah dieß aber schon nicht mehr, weil er unter dem zunächst stehenden Sessel ihr aus dem Gesicht kommen mußte. Den andern Morgen ist davon die Rede, ob denn auch der Hund, den mein Bruder Abends zuvor beim Heimgehen von dem 1 1/2 Stunden von hier entfernten Eberstadt, ganz in der Nähe dieses Dorfs verloren hatte, nun wohl nach Haus gekommen sey? Clärchen, welche nichts von seinem Abhandenkommen gewußt, stutzt nun auf einmal, fragt und erfahrt, daß man im Begriffe sey den Hund im Pfarrhaus zu Eberstadt abholen zu lassen, wo Karl gestern gewesen und man das Thier vermuthlich über Nacht behalten haben werde. So war es auch wirklich; ein Bote brachte es am Strick geführt.
So viel aus dem Diarium, das hie und da von mir ergänzt wurde. Im folgenden Jahr bricht es ab, weil ich schwer und auf lange erkrankte. Schlimmer als im Jahr 1834 ist auch das Spuckwesen nachher und bis auf die jetzige Zeit niemals geworden; vielmehr hat es sich entzwischen seltener, obwohl nicht weniger charakteristisch geäußert. Merkwürdig ist, daß es sich meist gegen den Herbst und im Winter vermehrt, im Frühling und die Sommermonate hindurch auch wohl schon ganz ausblieb. Der Zeitpunkt Morgens früh 4 Uhr ist, nach meinen Beobachtungen, vorzugsweise spuckhaft. Sehr häufig endigen auch die nächtlichen Störungen um diese Zeit mit merklichem Nachdruck.
(…)