Epilog

An Wilhelm I. König von Württemberg
Cleversulzbach, 3. Juni 1843
An Wilhelm I. König von Württemberg
Cleversulzbach, 3. Juni 1843
KÖNIGLICHE MAJESTAET!
Durch einen Erlaß des KÖNIGLICHEN hochpreislichen Consistoriums vom 29. November vorigen Jahrs wurde ich für den Fall, daß ich meine Stelle noch immer nicht ohne Gehilfen sollte versehen können, aufgefordert, um Pensionirung bis zu meiner Wiederherstellung allerunterthänigst zu bitten. Da ich jedoch das Amt mit heurigem Frühling allein zu übernehmen mir getraute und nur über die Wintermonate noch einen Vikar mir erbat, so wurde diesem Gesuch in der Voraussetzung entsprochen, daß ich mein Vorhaben alsdann umso gewißer würde vollziehen können. Ich fuhr sonach fort, mich neben meinem Gehilfen in allen Theilen des Amtes zu üben und zwar, einige kleinere Anstöße meiner Gesundheit abgerechnet, im Ganzen nicht unglücklich und guter Hoffnung voll. Allein die leztre trübte sich, nachdem ich erst wieder allein stand, sehr bald. Ein allgemeines Schwächegefühl, das mich seit Jahren eigentlich nie verlassen hat und sich bei jeder Art von länger fortgesezter Anstrengung, vornemlich bei der physisch geistigen der öffentlichen Rede zeigte, ist kürzlich in Folge meiner neu übernommenen ungetheilten Amtsthätigkeit, in erhöhtem Grade eingetreten. Vermehrter Blutandrang nach dem Kopfe, Schwindel, Kopfschmerz, ein heftiges, nicht selten die Sprache hinderndes Herzklopfen und gegen das Ende ein auffallender Nachlaß der Kräfte waren die Anzeigen, die meine neuesten Vorträge und kirchlichen Verrichtungen theils begleiteten, theils ihnen folgten; besonders macht auch eine, mehr nur im Anfang meiner Krankheit bemerkliche Schwäche der rechten Seite des Körpers, zumal im Fuße, sich neuerdings wieder sehr fühlbar. Bei meiner letzten Katechisation und Taufhandlung, nachdem ich für die Vormittagspredigt bereits die Hilfe eines benachbarten Geistlichen hatte in Anspruch nehmen müssen, ward mir so schlimm, daß die Gemeinde sowohl als ich selber jeden Augenblick mein Umsinken erwartete. Unter solchen Umständen bin ich nun freilich nicht nur für die nächste Zeit zu allen Geschäften unfähig, sondern ich sehe nach den gemachten Erfahrungen ein, daß, wenn auch, wie ich hoffe, mein gegenwärtig verschlimmerter KrankheitsZustand ein vorübergehender ist und auf diejenige mittlere Stufe der Besserung zurückzuführen seyn wird, auf welcher ich mich noch bis vor wenigen Wochen erhielt, ein wiederholter Versuch, meinem Beruf selbstständig nachzukommen, bevor das Grundübel gehoben ist, einen gleichen, wo nicht einen weit nachtheiligern Erfolg haben würde; ich sehe ein, daß mir im leztern Fall durch ein noch schwereres Erkranken alle Aussicht, der Kirche noch einmal zu dienen, ja auch nur meine Existenz auf erträgliche Art zu erhalten, für immerdar geraubt wäre.
Nachdem ich auf das Neue in mein Amt hineingegangen war, mit ganzem und redlichem Willen, und, setze ich nicht ohne Grund hinzu, mit einer innerlich entschiedenen Liebe zur Sache, – wie ich mir selbst und Jeder der mir näher steht, auch sicherlich meine Gemeinde, gewissenhaft das Zeugniß geben kann –, so finde ich mich nun in meiner anfänglichen Hoffnung zwar schmerzlich getäuscht und kann die Nothwendigkeit einer gänzlichen Änderung meiner bisherigen Verhältnisse, wobei nur in Einer Rücksicht, der gesundheitlichen, etwas für mich zu gewinnen, in jeder andern aber nur zu verlieren ist, nicht anders als beklagen. Doch eben das Bewußtseyn, mit Aufbietung aller meiner Kräfte das Meinige gethan zu haben, macht es mir möglich, mit größerer Ruhe, als ich sonst könnte, auf meine derzeit sehr ungewiße Lage hinzublicken, und mich an die Großmuth eurer KÖNIGLICHEN MAJESTAET mit unbegränztem Vertrauen ehrfurchtsvollst zu wenden.
Ich bin ohne Vermögen, und habe an den Opfern, die ich meiner Familie als Sohn und als Bruder gebracht, noch jezt zu tragen. Ob und in wie weit ich im Stande seyn werde, künftig, neben der Sorge für meine körperliche Wiederherstellung, durch Privatarbeiten etwas für meine Subsistenz zu thun, ist höchst zweifelhaft. In dem nächsten Jahre habe ich mir davon entweder Nichts, oder, mit Benützung einzelner Stunden, nur sehr wenig zu versprechen.
Nach dieser ganzen, der lautersten Wahrheit gemäßen, Darstellung, und unter Beteiligung eines ärztlichen Zeugnisses, wage ich denn, Eurer Königlichen Majestät die Bitte um gnädigste Enthebung vom PredigtAmt und huldvolle Verleihung einer Pension unterthänigst zu Füßen zu legen.
In tiefster Ehrfurcht verharrend
EURER KÖNIGLICHEN MAJESTÄT
allerunterthänigst
treugehorsamster
Eduard Mörike, Pfarrer